“Ich bin nicht eine, die schnell mal so einen Antrag stellt und um Hilfe bittet. Ich habe viel alleine geschafft, aber irgendwann geht es dann nicht mehr. Es sind ja nicht nur die monatlichen Fixkosten, nein, die Kinder brauchen ja immer was, wie Kleidung oder Schule, weil sie wachsen, oder in der Schule zahlen müssen... und durch die Erhöhungen muss man eh jeden Cent zweimal umdrehen. Aber irgendwann geht es nicht mehr.”
Mit diesen Worten wendet sich eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern an die Volkshilfe. Nachrichten wie diese erreichen die sozialen Organisationen tagtäglich, und sind seit dem Beginn der Teuerung deutlich häufiger geworden. Immer mehr Menschen wenden sich verzweifelt an die Volkshilfe, weil sich ihre Lage immer weiter verschärft. Grundbedürfnisse wie der Kauf von Lebensmitteln oder die Verwendung von Energie können immer schwieriger oder teilweise gar nicht mehr gedeckt werden. Die Situation armutsbetroffener Familien war bereits vor der Corona-Pandemie und der aktuellen Rekord-Inflation prekär. Jetzt, wo das tägliche Leben immer teurer wird, steigt die Existenznot rapide an.
„Die Kinder müssen jetzt auf noch mehr verzichten,“ erzählt eine Familie mit drei Kindern aus Linz. Die Eltern arbeiten beide mit geringem Einkommen in einer Reinigungsfirma, die monatlichen Fixkosten (Miete, Strom, Heizung, etc.) umfassen fast das gesamte Einkommen der Eltern, wodurch kaum finanzielle Mittel für den täglichen Bedarf vorhanden sind. Die finanzielle Lage ist prekär. Da sie auch die Wohnung wechseln mussten, sind nun auch die Miete und Energie gestiegen. Dass nun alles, auch Nahrungsmittel teuer sind, ist eine zusätzliche Herausforderung.
Die Inflationsrate für Juni 2022 liegt laut Statistik Austria bei 8,7 Prozent. Die hohen Preise für Treibstoffe und Haushaltsenergie sind nach wie vor die Hauptursachen für die Teuerung, doch auch Lebensmittelpreise haben wieder stark angezogen. Die Preise für die täglichen und wöchentlichen Einkäufe haben sich erneut stärker verteuert. Das Preisniveau des Mikrowarenkorbs, der überwiegend Nahrungsmittel, aber auch Tageszeitungen und den Kaffee im Kaffeehaus enthält und den täglichen Einkauf widerspiegelt, stieg im Jahresvergleich um 7,7 Prozent. Der Miniwarenkorb (wöchentlicher Einkauf: Nahrungsmittel, Dienstleistungen, Treibstoffe) verteuerte sich im Jahresabstand sogar um 14,4 Prozent. Vor allem für Menschen mit geringen Einkommen ist der Miniwarenkorb relevant, da sie sich Konsumausgaben, die darüber hinaus gehen, ohnehin nicht leisten können. Das macht klar: für Armutsbetroffene und Menschen mit geringen Haushaltseinkommen ist die Inflationsrate noch höher, als die allgemeine Inflationsrate von 8,7%. Vor allem günstige Drogeriewaren, Lebens- und Reinigungsmittel kosten im Jahresvergleich spürbar mehr, wie der AK-Preismonitor für die Monate März-April zeigt.
In den vergangenen Monaten stieg das Preisniveau kontinuierlich an. Eine Entwicklung, die sich laut Expert*innen der Wirtschaftsforschungsinstitute fortsetzen wird. Um einen dramatischen Anstieg der Armut in Österreich zu verhindern, braucht es daher umfassende Maßnahmen, um Menschen aus der Existenznot zu holen und sozial besser abzusichern.
Teuerungspaket enthält zu wenig nachhaltige Hilfe für besonders Betroffene
Angesichts der Rekord-Teuerung haben viele Organisationen dringend Maßnahmen eingefordert, um die Menschen in Österreich zu entlasten. Das daraufhin von der Bundesregierung vorgelegte Anti-Teuerungspaket ist in seinem Gesamtvolumen und den darin vorgestellten Maßnahmen durchaus beachtlich. Eine positive Maßnahme, die langfristig wirkt, ist die Valorisierung der bisher noch nicht angepassten Sozialleistungen wie der Familienbeihilfe. Damit ist eine langjährige Forderung vieler Sozialorganisationen erfüllt, die dringend notwendig ist. Der zusätzliche Teuerungsbonus für besonders gefährdete Gruppen sowie die Verlängerung und Erhöhung des Projekts Wohnschirm sind positive Maßnahmen, ebenso wie die zusätzliche Familienbeihilfe im August und die Erhöhung des Kindermehrbetrags.
So begrüßenswert viele Elemente des Teuerungspakets auch sind – viele der Maßnahmen wirken nur einmalig, gehen nicht weit genug oder bringen besonders gefährdeten Gruppen kaum etwas.
- Die Familienbeihilfe etwa hat in den vergangenen Jahrzehnten massiv an Wert verloren: heute ist sie um etwa 30 Prozent weniger wert als im Jahr 2000. Das bedeutet, dass die Familienbeihilfe bei den null bis drei-Jährigen bei 157 statt bei 114 Euro liegen müsste. Dieser Wertverlust wird durch die Valorisierung nicht ausgeglichen.
- Obwohl Arbeitslose besonders stark von der Teuerung betroffen sind, schließt die Regierung eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und eine Valorisierung der Notstandshilfe bzw. des sog. Familienzuschlags zum Arbeitslosengeld von Valorisierung der Sozialleistungen aus. Der Familienzuschlag von 97 Cent pro Tag pro Kind wurde seit 2001 nicht mehr erhöht. Gerade im Bereich der Arbeitslosenunterstützung besteht dringender Handlungsbedarf. Schon vor der Teuerungswelle waren für 6 von 10 Arbeitslose dringende Anschaffungen von 1300 Euro oder ein 1-wöchiger Urlaub nicht leistbar. 2 von 10 Arbeitslosen konnten sich warmen Wohnraum, regelmäßige, adäquate Mahlzeiten oder Kleidungsersatz nicht leisten.
- Die Abschaffung der kalten Progression ist eine Maßnahme, von der vor allem höhere Einkommensschichten profitieren. Das unterste Fünftel hat fast gar nichts davon. Wer zu wenig verdient, um überhaupt Steuern zu zahlen, dem hilft eine Anhebung der Tarifstufen nichts. Und: Haushalte mit höherem Einkommen profitieren wesentlich stärker als jene mit niedrigen Einkommen. Im untersten Fünftel bringt die Abschaffung der Kalten Progression pro Kopf nur rund 60 Euro mehr, im obersten dafür aber 470 Euro pro Jahr.
Insgesamt federt das Teuerungspaket die Kosten der Inflation zwar ab, bekämpft sie aber nicht in ihrem Ursprung. Das Paket enthält keine Maßnahme, um die Preise für Verbraucher*innen zu senken. Zwar ist der Umfang des Pakets mit 28 Mrd. Euro beachtlich, doch die Frage nach der Gegenfinanzierung bleibt weitgehend offen.
Die Bunderegierung argumentiert, dass die Finanzierung über Konsum und Wachstum gewährleistet ist. Das bedeutet jedoch, dass vor allem das untere Einkommensdrittel, dessen Sparquote niedriger ist und das zusätzliche Geld für die Deckung des täglichen Bedarfs ausgeben wird, bei der Refinanzierung einen bedeutenden Beitrag leisten muss. Währenddessen schlagen Energiekonzerne enorme Gewinne aus der Krise, und die Reichen werden immer reicher: das Gesamtvermögen der Reichsten weltweit ist gegenüber 2020 um acht Prozent auf einen neuen Höchstwert von 86 Billionen US-Dollar angestiegen.
Stattdessen braucht es ein Modell, das nicht auf den Schultern jener lastet, die ohnehin schon zu wenig haben, sondern durch die Reichsten finanziert wird. Es ist daher höchste Zeit, dass Gewinnabschöpfungen von Krisen-Profiteuren und vermögensbezogene Steuern eingeführt werden.
Es steht außer Frage, dass die Summe an Maßnahmen viele Menschen, die unter der Teuerung leiden, entlasten wird. Nichtsdestotrotz fehlt im Paket der Fokus auf akute und nachhaltige Armutsbekämpfung. Denn es sind vor allem die armutsbetroffenen und -gefährdeten Menschen und Kinder in diesem Land, die mehr Unterstützung und einen besseren Schutz gegen die Inflation brauchen.
Unsere Forderungen im Überblick
(Detailierte Forderungen siehe Downloads)
Aus Sicht der Volkshilfe braucht es sowohl ein Paket an sofortwirksamen, kurzfristigen, und an nachhaltigen, langfristigen Maßnahmen, um die Menschen vor der Teuerung zu schützen und Armut in Österreich zu bekämpfen.
Kurzfristige Maßnahmen: fünf Forderungen für sofortige Entlastung besonders gefährdeter Gruppen.
- Kostenlose Energieversorgung für Armutsbetroffene
- Erhöhung der Wohnbeihilfe
- Rücknahme der Mieterhöhungen
- Sondersteuer auf Profite der Mineralölkonzerne
- Wiederkehrende Direktzahlungen gegen hohe Lebensmittelpreise
Langfristige Maßnahmen: fünf Forderungen für ein armutsfestes Sozialsystem
- Dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70%
- Erhöhung des Mindestlohns auf 1.750 Euro
- Verbesserungen in der Sozialhilfe
- Einführung einer Kindergrundsicherung
- Erhöhung der Ausgleichszulage
Quellenangaben: